Beim Zusammensein mit Anderen kann man eine ständige Veränderung der eigenen Aufmerksamkeit feststellen.
Manchmal sind wir interessiert, ja fasziniert, manchmal gelangweilt und abwesend, manchmal auch ablehnend und gereizt.
Dies kann von verschiedenen Faktoren abhängen: z.B. vom eigenen Interesse am Thema, vom eigenen momentanen Zustand, von der Erzählkunst des Sprechers.
Diese bekannten Ursachen für den Grad und die Qualität von Aufmerksamkeit werden jedoch noch von einem anderen Phänomen überlagert: Es geht dabei um das Energiefeld, in dem sich die beteiligten Personen bewegen.
Ein Beispiel: Eine Gruppe unterhält sich über das Thema X. Alle sind in einem guten Kontakt und Verstehen. Plötzlich wechselt derjenige, der gerade spricht, von etwas, das für alle relevant ist, über zu etwas, das in diesem Kontext nicht relevant ist.
Dieses Abweichen wird vom Unterbewusstsein der anderen Gesprächsteilnehmer sofort erfasst und die Aufmerksamkeit wendet sich im gleichen Augenblick ab. Das Wegdriften der eigenen Aufmerksamkeit und der der Anderen ist ein sehr zuverlässiges Zeichen dafür, dass der Sprecher von etwas Relevantem plötzlich zu etwas Irrelevantem übergangen ist.
Man fragt sich in diesem Moment: “Warum erzählt sie / er das denn jetzt? Worum geht es denn eigentlich?“
Dieses Phänomen ist besonders in Gruppen aufschlussreich, weil man hier feststellen kann, dass die gesamte Gruppe in der gleichen Weise reagiert. Eben noch waren alle voll da, fasziniert und eine Sekunde später fangen einige an, sich zu räkeln, einer gähnt und andere sehen weg, es entsteht eine Geräuschkulisse, einige fangen an, sich zu unterhalten, etc.
Die Gruppe befindet sich innerhalb weniger Sekunden in einer anderen Energie. Diese Energie hat eine Qualität von Unklarheit, Nebel, Gereiztheit, Langeweile und Verwirrung.
Dieses Energiephänomen, das soeben für Gesprächs-, Kommunikations- und Gruppensituationen beschrieben wurde, ist auch in der Therapie wohlbekannt, da alle Probleme, die Menschen haben können, diese Energie als Nährboden brauchen.
Wenn der Therapeut nicht auf der Hut ist, besteht die Gefahr, dass er in dieser Nebelenergie des Klienten versinkt. In diesem Moment kann eine Therapie oder Beratung nicht mehr weitergeführt werden.
Diese Irrelevanz beim Kommunizieren hat im Wesentlichen drei Gründe:
1. Sekundärgefühle
Der Sprechende ist nicht in der Lage, das primäre Gefühl, welches für ihn zum Thema passen würde, zuzulassen und auszudrücken und wählt unbewusst sekundäre Gefühle, die er vorzieht oder vorschiebt, weil er sie für akzeptabler hält als das ursprüngliche Gefühl.
Wenn sich also jemand traurig fühlt, sich jedoch davor fürchtet, dies auszudrücken und es vorzieht, wütend zu werden oder von bestimmter Fröhlichkeit zu sein (inadäquates Lachen), dann sind Wut und Fröhlichkeit sekundäre Gefühle.
Umgekehrt kann man, anstatt wütend zu werden, es vorziehen, traurig zu sein. Dann ist die Wut das primäre Gefühl, Trauer das sekundäre.
Sekundäre Gefühle wirken auf die Umgebung langweilend, machen überdrüssig und müde. Sie bewirken, dass der Zuhörer das Gefühl hat, er müsse etwas tun, er weiß aber nicht was. Sie machen hilflos und bewirken Schuldgefühle, tragen zu Irritation, Ärger und Unruhe bei.
In Gruppen kann es auch passieren, dass solche Energien solidarisierend wirken, wenn bei den anderen Teilnehmer der Gruppe eine ähnliche Tilgungs- und Vermeidensproblematik besteht.
Sekundären Gefühlen fehlt die einfache, kristallklare, strukturierende und ordnende Kraft der Primärgefühle. Sie sind ihrer Natur nach zusammengesetzt, weil in Ihnen das nicht zugelassene primäre Gefühl mitschwingt. Da sekundäre Gefühle häufig mit einem Auge auf die Umgebung ausgedrückt werden, haben sie etwas Künstliches, Manipulatives.
Ein Primärgefühl dagegen ist eine unverfälschte, ursprüngliche Antwort auf die Umwelt und kommt tief aus dem inneren Sein, ist etwas Ganzheitliches.
Primärgefühle berühren andere Menschen zutiefst, bringen Menschen einander nahe, sie verbinden. Die innere Klarheit, die sie hervorrufen, strahlt auch auf die Umgebung aus.
Sekundärgefühle verlieren ihre Wirkkraft, wenn das darunter verborgene Primärgefühl sich ausdrücken darf und ins Leben gelangt.
2. Fremdgefühle
Das sind übernommene Gefühle, in der Regel sind es Gefühle von Mitgliedern der Sippe, die von den Nachkommen übernommen werden.
Auf diese Weise können Gefühle über Generationen hinweg tradiert werden. So gibt es Familien, in denen eine unbestimmt Trauer, Schuldgefühl oder Resignation als Grundstimmung herrscht.
Fremdgefühle prägen die Grundstimmung eines Menschen. Auf die Umgebung wirken sie eher lähmend und machen ratlos. Man hat den Eindruck, im Neben herumzutasten und vor Hoffnungslosigkeit nichts mehr machen zu können.
Die einzige Art, mit Fremdgefühlen umzugehen ist, sie an das Mitglied der Sippe zurückzugeben, von dem sie übernommen wurden und die ihnen zugrundeliegende Identifikation mit der Person zu lösen.
3. Spiele
Im Zusammenhang mit diesen gruppendynamischen Prozessen ist ein kleiner Exkurs in die Transaktionsanalyse angebracht. Es geht dabei um die dort beschriebenen Spiele.
Durch die Interaktion zwischen den Gruppenmitgliedern und den Gruppenleitern werden alte emontional ungelöste Konflikte reaktiviert und lösen ein inadäquates Verhalten aus. Das Erwachsenen-Ich wird verlassen, ein Spiele-Karusell entsteht durch Wechsel der Bezugsebenen. Weitere Infos dazu unter Rollenverhalten und Psychospiele in Gruppen und Teams .