Jeder Mensch hat in sich die Sehnsucht  nach Bindung, Zugehörigkeit, Sicherheit und Geborgenheit. Genauso jedoch auch die Erwartungshaltung frei und autonom sein zu wollen, die Welt zu entdecken, um persönlich wachsen zu können.

Diesen Zwiespalt gilt es schon in frühester Kindheit zu bewältigen. Wie kann dies gelingen?

Negative Prägeerlebnisse
Die klientenzentrierte Gesprächstherapie nach Rogers (humanistische Psychologie) geht von dem Modell aus, dass jeder Mensch mit seinem „wahren Selbst“ auf diese Welt kommt. Dieses „wahre Selbst“ trifft nun auf die jeweilige Erfahrung (die anderen Selbste: Mutter, Vater, Geschwister).

Wenn diese Erfahrung mit dem „eigenen Selbst“ des Kindes in vielen Bereichen deckungsgleich ist (die Erfahrungen so sein können, dass man sich „richtig“ fühlt und gut integriert werden können),  kommt es zu einer (lt. Rogers) Ich-stabilisierenden Grund-Prägung.

Wenn hingegen wenig Überscheidungsmenge  durch z.B. Ablehnung, emotionale Kälte, Rigidität (speziell der emotionalen Bezugspersonen) von Ich und relevanter Umwelt gegeben ist, führt diese Bedrohlichkeit der mangelnden Selbstbestätigung zu neuronalem Stress. Vermehrt unkontrollierbare Belastungssituationen gelangen als Botschaft (neuroplastische Botenstoffe werden ausgeschüttet) in das emotionale Zentrum im Gehirn (Hirnstamm), die vegetativen Zentren welche Blutdruck, Atmung, Muskeltätigkeit, Verdauung etc. steuern werden auf physiologisch nicht sinnvolle Art übermäßig aktiviert; frühe (in diesem Fall ungünstige) Stressbewältigungsmuster werden neuronal verknüpft.

In den ersten Lebensjahren, in denen das Gehirn grundlegende Strukturen (in diesem Fall vor allem Beziehungsaspekte hinsichtlich sozialer Lernprozesse) zu steuern lernt, herrscht in den neuronalen Strukturen Übererregung und Irritation, wenn das emotionale Beziehungsbedürfnis nicht ausreichend erfüllt wird.

Treten diese Ich-destabilisierenden Prozesse in Form von Zurückweisungen, Enttäuschungen und Kränkungen häufiger auf, muss der Organismus Lösungen finden, mit dem neuronalen Stress, der chronisch zu werden droht, umzugehen.

Abspaltung (Dissoziation), Verdrängung, Anpassung, verzerrte Sicht der Erfahrungen, dysfunktionale Ursache-Wirkungszuschreibungen, limitierende Selbstzuschreibungen = negative Glaubenssätze: „Es kommt auf mich nicht an….An mir ist etwas falsch…..Ich bin nicht richtig, so wie ich bin….Ich gehöre nicht dazu, wenn…..etc.“: die Psyche kennt viele Wege die ungünstigen Lebensumstände erst mal zu kompensieren. Es entwickelt sich daraus jedoch häufig die Form einer generellen Überfremdung der eigenen Persönlichkeit dem Leben gegenüber = übermäßige Anpassung / Verfremdung (Maske) des eigenen Selbst.

Folge: Der Mensch zweifelt immer mehr an sich selbst, traut sich immer weniger zu, zieht sich immer mehr zurück, verliert sich selbst immer mehr (defizitäre Ich-Struktur). Vermeidungsmotivationen stehen mehr im Vordergrund denn Erreichungsmotivationen: der Organismus ist überwiegend damit beschäftigt dass „nichts Unangenehmes“ passiert anstatt dass „etwas Positives“ bewirkt werden kann. Dies ist keine gute Motivation für ein bejahendes und sinnerfülltes Leben.

Gesellschaftliche Fogen
Im Laufe der Jahre treten „erwachsene“ Kompensationen in Form von Ersatzbefriedigungen (z.B. exzessives Essen, Trinken, Sexualität, übermäßiges Konsumverhalten) an die Stelle wo eigentlich das lebendige Entdecken, Gestalten-Wollen als ursprüngliche Sehnsucht der Lebensgestaltung hingehört.

Allerdings: man wird damit nicht wirklich glücklich; weil: es reicht nie. Eine grundlegende innere Haltung macht sich breit: „Ich bin zu kurz gekommen“.

Folge davon ist, das der nun erwachsene Mensch in Konflikt- und Belastungssituationen immer häufiger auf die ungünstig geprägten Strukturen der Prägephase zurückgreift (Regression auf infantile Verhaltensmuster) und damit die aktuellen erwachsenen Herausforderungen des Lebens nicht mehr erfolgreich bewältigen kann.

Es kommt zu negativen Verstärkungen in zwischenmenschlichen Erlebnis-Bereichen,  tiefem Misstrauen zum Anderen, zur Gesellschaft, zum Leben generell. Eine beobachtbare moderne Varianten Form davon ist übermäßiger Vergleich mit Anderen basierend auf  Neid und Gier.  Beispiel: die aktuelle Discouter/Schnäppchen-Mentalität mit dem Grundmotto: „Wem kann ich noch etwas wegnehmen“; eine Zukunft menschlichen Seins, die sich in ihren Auswüchsen niemand vorstellen möchte.

Lösungsmöglichkeiten
Die gute Botschaft: Eine Kehrtwendung ist allen Menschen möglich. Seine eigenen Potenziale wieder sozial verträglich zu entfalten; dazuzugehören, so wie man ist, sich gemeinsam um etwas zu kümmern, gemeinsam mit Anderen etwas zu gestalten und zu erreichen, Sinnhaftigkeit erleben:  jeder Mensch weiss in der Tiefe seiner Person, wie es „richtiger“ oder „besser“  wäre.

Jeder Mensch trägt in sich eine Vorstellung eines generationsübergreifenden Konzeptes des unterstützenden Miteinanders anstatt der Lebensgrundhaltung, sich auf Kosten der Anderen schadlos zu halten.

Jeder sollte bei sich selbst anfangen und Vorbild sein. Sich selbst wieder zu entdecken, die Beziehungen zu Anderen besser zu gestalten, den Gegenüber einladen, ein bessere Erfahrung zu machen, gemeinsam etwas zu tun, zu dem man allein nicht in der Lage ist. Leitbild könnte sein, an einer Gesellschaft mitzuwirken, in der starke Einzelindividuen in gemeinsamer Verantwortung miteinander tragfähige Lösungen hinsichtlich der Lebensherausforderungen ermöglichen.

Soziale Kompetenz kann allerdings (gesellschaftlich wirksam) nur gemeinsam erreicht werden. Je mehr Menschen wieder lernen eine achtsame und wertschätzende Haltung gegenüber anderen Menschen, aber auch Tieren, Pflanzen, ja sogar Gegenständen – dem Planeten Erde an sich – zu finden, desto mehr Chancen eröffnen sich, die motivierende Vision für Zukunft in Form eines sinnhaften Daseins zu gestalten.