Aikido hat im Bereich der asiatischen Kampfkünste eine Sonderstellung; z. B. gibt es hier keine Wettkämpfe. Das heißt, die Ausführenden agieren (kämpfen) nicht gegeneinander sondern im wahrsten Sinne des Wortes miteinander.

Daher bietet sich Aikido besonders als Analogie / Metapher für Konfliktmanagement an und ist entsprechend häufig in der Literatur im Bereich Konflikttraining zu finden.

Im folgenden Beitrag möchte ich eine kurze Darstellung des Aikido geben und eine Verbindung zum Neuro-Linguistischen Programmieren / Neuro-Linguistischer Prozessarbeit darstellen.

Aikido als japanische Kampfkunst

Im Aikido wird die aggressive Kraft des Angreifers so geführt und umgelenkt, dass sie für die Technik des Verteidigers nutzbar gemacht und verstärkt dem Angreifer zurückgegeben werden kann. Die Bewegungen des Aikido sind dynamisch ausgeführte Kreis- und Spiralbewegungen. Durch geschicktes Ausweichen und frühzeitiges Führen des Angreifers verliert dieser sein Gleichgewicht und kann seine Körperkräfte nicht mehr gegen den Verteidiger einsetzen, weil der instabile Körper dem aggressiven Geist nicht mehr gehorcht.

Das Ziel des Aikido besteht nicht darin, den Angreifer zu verletzen oder gar zu vernichten, sondern den Gegner so zu führen, dass er die Wirkung des von ihm vorgetragenen Angriffs selbst spürt und seine aggressiven Absichten aufgibt. Im Idealfall versteht es der Aikidoka, dem Angreifer  schon vor dem  beabsichtigten Angriff durch eine entsprechende Ausstrahlung (Ki) die Sinnlosigkeit seines Tuns zu vermitteln.

Das Aikido vermittelt als philosophische Grundhaltung dem Menschen Wege, in Harmonie (Ai) mit der geistigen Kraft (Ki) zu gelangen, damit die daraus resultierende persönliche Energie auf dem Lebensweg (Do) befriedend und sinnstiftend genutzt werden kann.

Ki, die geistige Kraft

Beim Vergleich der Schöpfungsgeschichten verschiedener Kulturen findet man am Anfang meist eine Urkraft oder Energie. Sie trägt zwar verschiedene Namen, ist aber immer Ausdruck eines höheren Ordnungsprinzips oder göttlichen Willens. Seit Anbeginn erzeugt und bewahrt sie das Leben, bewegt den Kosmos und manifestiert sich in allen Dingen. Ohne sie gäbe es keine Harmonie oder Evolution.

Diese ordnende und wirkende Kraft wurde im alten Griechenland Pneuma genannt, in Indien heißt sie Prana, in China Chi, in Japan Ki. Man geht davon aus, dass dieses Ki geistigen Ursprungs ist, jedoch in verschiedenen Zuständen in aktiver oder latenter Form auftreten kann. Ki ist als Weltseele überall vorhanden und doch nicht greifbar. Jeder Mensch ist von Ki erfüllt, die z.B. als Lebensenergie, Lebensfreude, Willenskraft oder Schaffensdrang in ihm wirkt und sich in seinen geistigen und körperlichen Aktivitäten äußert.

Nach Auffassung der Meister wird Ki beim Atmen aufgenommen und wieder abgegeben. Es kann aber auch von einem Menschen auf den anderen übertragen werden. Dies ist durch die „Kraft der Persönlichkeit (geistige Zustandsform) ebenso möglich wie durch die konzentrierte und gelenkte Atemkraft (vorübergehende körperliche Zustandsform). Im täglichen Leben, insbesondere im Konfliktfall, soll der Mensch sein Ki koordiniert einsetzen. Diese Forderung ist immer erfüllt, wenn Körper und Geist eine harmonische Einheit bilden.

Die Ausbildung und Anwendung des Ki, das mit dem Atem pulsiert (Kokyu),  steht im engen Zusammenhang mit dem Körperzentrum (Hara). Nach fernöstlicher Vorstellung stellt Hara die Mitte der menschlichen Wesenseinheit bzw. ihren Koordinationspunkt dar. Aus ihm quillt spontan die geistige Kraft, das Ki, in Form von Lebensenergie, über die jedes Lebewesen verfügen kann, wenn es gelernt hat, sich zu sammeln, seine Kräfte zu mobilisieren und zu beherrschen. Hara ist die Nahtstelle zwischen Körper und Geist, zwischen dem individuellen und dem sozialen Geschöpf, zwischen dem Mensch und dem Universum.

Für uns westliche Menschen, die wir Körper und Geist einander gegenübersetzen und uns den Menschen nur in dieser Dichotomie denken können, ist es schwierig, sich eine nicht abgegrenzte Zone vorzustellen, die sich etwas unterhalb des Nabels befindet, eine Mitte, die kein genau beschriebenes Organ ist, und die der Ort des persönlichen Gleichgewichts und der Spiritualität sein soll.

Funktional gesehen entspricht Hara aufgrund seiner Lage im Unterbauch dem, was wir den Körperschwerpunkt nennen. Er ist also der Ort des vertikalen Gleichgewichts, von dem aus jede richtige Bewegung möglich ist. Seinen Hara halten heißt also, die optimale körperliche und geistige Haltung wahren.

Die unbewegte Weisheit

Der wichtigste geistige Aspekt in den asiatischen Kampfkünsten allgemein ist der Erwerb einer bestimmten inneren Einstellung, die man die unbewegte Weisheit nennt. Unbewegt heißt nicht starr, schwerfällig oder leblos wie ein Stück Holz. Gemeint ist eine Beweglichkeit höchsten Grades um ein unbewegtes Zentrum. Der Geist erreicht hier den Gipfel der Regsamkeit und kann die Aufmerksamkeit überall dorthin lenken, wo sie vonnöten ist. Im Inneren bleibt etwas Unbewegtes, das dennoch von selbst mit den Dingen, die sich ihm darbieten, mitgeht. Der Spiegel der Weisheit bildet sie sogleich eins nach dem anderen ab, bleibt aber rein und ungetrübt.

Zitat: Takuan, japanischer Zen-Meister, 1573 – 1645

Was macht das Aikido heute so interessant?

Neben den sportlichen und gesundheitlichen Aspekten ist es in erster Linie der Anspruch des Aikido, ein Modell zu sein für die humane und sinnvolle Bewältigung zwischenmenschlicher Konflikte. Durch die Anwendung der Prinzipien des Aikido, insbesondere des ausweichenden Aufnehmens und Zurückgebens der Angriffsenergie, soll auch und gerade für das Leben außerhalb des Übungsraums die Möglichkeit erkannt werden, Konflikte ökologisch zu bewältigen. Das immerwährende Üben der Aikidotechniken soll eine Geisteshaltung entwickeln, die auch bei den Konflikten des täglichen Lebens ihre Wirkung zeigt.

Neuro-Linguistisches Programmierens als psychologische Technik in Veränderungsprozessen

Richard Bandler (Informatiker und Psychologe) und John Grinder (Sprachwissenschaftler) beobachteten und analysierten das Kommunikationsverhalten sehr erfolgreicher Psychotherapeuten.

Es gelang ihnen, die Wirkmechanismen zu destillieren, die erforderlich sind, um erfolgreich zu kommunizieren. Sie stellten diese Bestandteile in Programmen zusammen, die linguistisch vermittelbar sind und neurologische Abläufe beeinflussen.

Die wichtigsten Vorannahmen und Leitsätze des NLP-Trainings:

  • Jeder Mensch ist einzigartig und hat sein eigenes Modell von der Welt. (Das Problem liegt darin, dem anderen nicht mehr zu begegnen.)
  • Die Landkarte ist nicht die Landschaft. (Das Problem liegt in der Verwechslung unserer inneren Realität mit der Wirklichkeit.)
  • Menschen treffen die beste ihnen zur Verfügung stehenden Wahl. (Das Problem besteht darin, daß wir manchmal zu wenig Wahlmöglichkeiten und Flexibilität haben.)
  • Kommunikation ist die Antwort, die ich erhalte (… und nicht das Problem des Anderen.)
  • Alle Menschen haben die Ressourcen, das Wissen und die Fähigkeiten, um Veränderungen vorzunehmen. (Das Problem liegt im Zugriff.)
  • Der positive Wert jedes Individuums ist konstant. (Das Problem liegt in unserer Bewertung.)
  • Jeder kann große Ziele erreichen. (Das Problem liegt darin, daß wir zu stark problemfixiert sind, anstatt zielorientiert vorzugehen.)
  • Vertraue Deinem Unbewußten. (Das Problem liegt darin, daß das Bewußtsein mit dem Wissen und den Fähigkeiten des Unbewußten nicht im Einklang  ist.)
  • Für jedes Verhalten gibt es einen Kontext, in dem es nützlich und sinnvoll ist. (Das Problem besteht darin, daß wir ein Verhalten, das negative Reaktionen auslöst, als Fehler werten und nicht als Feedback.)

Seit unserer Geburt reagieren wir auf die Wirklichkeit und bilden dazu ein Verhaltensprogramm. Irgendwann einmal halten wir dieses Verhaltensprogramm für die Wahrheit und die Wirklichkeit. Dabei vergessen wir, daß wir auf unser Modell von der Welt im Leben Bezug nehmen und nicht auf die Welt selbst.

Das neurolinguistische Programmieren macht bewußt, daß jeder sein eigenes Modell von der Welt hat und somit auch seine eigene Wahrheit und Wirklichkeit. Es hilft dabei, die Grenzen der inneren Welt zu entdecken und bietet Möglichkeiten an, die eigenen Schwellenmuster zu überschreiten und Neuland zu entdecken, speziell auch in einem Konflikt mit anderen Menschen.

Parallelen zwischen den beiden Methoden NLP und Aikido

Eine augenfällige Parallele im Konzept der Konfliktbewältigung der beiden Methoden ist die Fähigkeit des Aikido, das Aufschaukeln von Konflikten zu verhindern. Aikidotechniken sind ihrer Natur nach nicht geeignet, Konflikte mit weiterem Konfliktstoff anzureichern. Im Aikido wird nicht zurückgeschlagen. Es wird vielmehr, wie o.a., die Energie des Angreifers aufgenommen und so geführt, daß sie am Ende auf ihn selbst verändernd wirkt. Eine Verschärfung des Konflikts kann also durch Einsatz einer Aikidotechnik nicht eintreten.

Der verhängnisvolle Eskalationsprozess von Gewalt und Gegengewalt unterbleibt gleichsam zwangsläufig. Eine Intervention im Bereich des neurolinguistischen Programmierens geht von der gleichen Grundeinstellung aus. Im Konfliktfall wird der NLP-Anwender zuerst versuchen, das Weltmodell des Gegenübers kennenzulernen und sich darauf einzustellen. Dadurch werden Kommunikationspartner dort abgeholt, wo sie stehen, um sie erst anschließend dorthin zu führen, wo eine Lösung möglich erscheint.

In dem Sich-Einlassen auf den Partner liegt die Chance, den Konflikt als gemeinsames Problem zu sehen, das nicht nur trennt, sondern auch verbindet. Sich auf die Haltung eines andern einlassen heißt regelmäßig auch, den andern in dieser Haltung ernstnehmen. Im Aufnehmen der Energie des Partners drückt sich dieses Ernstnehmen beim Aikido aus. Der Angreifer ist nicht von vornherein bösartig, sein Angriff wird nicht als von vornherein verwerflich bewertet.

Aus der Metaposition werden die Konfliktenergien neutral betrachtet. Die Rollen der Beteiligten in einer manifesten Konfliktsituation verlieren ihre Wertigkeit als gut und böse. Sie dokumentieren nur den Ausbruch des Konflikts, der zwischen den Beteiligten schwelte und auf dessen Bewältigung es allein ankommt.

Im Aikido drückt sich dies durch die eigentliche Aikidobewegung aus, die immer in einer  gemeinsam ausgeführten Bewegung mündet. Die Dualität von Angreifer und Verteidiger wird in ihr aufgelöst.

In psychologischen Begriffen heißt dies paradoxe Intervention. Aus einem aggressiven Akt des Angreifers wird ein gemeinsamer Prozeß der Beteiligten. Anstatt des erwarteten Gegenangriffs wird  zur Verblüffung des Angreifers seine Energie akzeptiert und verwendet.

Das aufrichtige Sich-Einlasssen auf den Partner/Gegner birgt den Schlüssel zu befriedigender Konfliktbewältigung. In dem Maße, in dem der Verteidiger bereit ist, auch seine Position in Frage zu stellen, eröffnet sich für den Angreifer die Möglichkeit, ebenso zu handeln. Fast immer sind dann auch neue Deutungen der alten Positionen möglich (Gewinner-Gewinner-Strategie). So gemeinsam gefundene Lösungen für Konflikte erweisen sich als tragfähiger als die Ergebnisse durch Sieg oder Niederlage, welche bei nächster Gelegenheit im Rahmen eines Revanche-Denkens erneut aufflackern.

Zitate:
Die Welt ist so groß wie unsere Fähigkeit, sie wahrzunehmen, Richard Bandler

Wer seine Mitte sucht, sollte nach innen blicken, Morihei Uyeshiba