In Anlehnung an die Typenlehre des Psychoanalytikers Fritz Riemann (Grundformen der Angst) möchten wir hier die modellhafte Unterscheidung von zwei unterschiedliche Charakterstrukturen

hinsichtlich menschlicher Beziehungsgestaltung / Begegnung anbieten:

a) die symbiotische Persönlichkeitsstruktur

b) die distanzierte Persönlichkeitsstruktur

Es handelt sich um grundlegende Formen des In–der–Welt–Seins und den Schutzmechanismus gegen unbewußte Ängste aufgrund prägender Erfahrungen in der Kindheit.

Da es sich um tieferliegende Charakterstrukturen handelt, sind sie in der Regel unbewußt.

In der Realität stellen sie sich meist als Mischformen dar, in Krisenzeiten jedoch neigt der Mensch zur extremeren und einseitigeren Ausprägung dieser Persönlichkeitsstrukturen.

Die symbiotische Persönlichkeitsstruktur

Menschen, die hinsichtlich ihres Beziehungsverhaltens eher hier einzuordnen sind haben häufig eine Angst vor der Selbstwerdung. Sie befürchten Ungeborgenheit und Isolierung.

Distanz erscheint bedrohlich, Nähe bedeutet Sicherheit. Sie haben nicht gelernt, Eigenstän–digkeit und Unabhängigkeit zu entwickeln. Sie vermeiden Abgrenzung und Konflikte. Sie schlucken Groll herunter und neigen zur Selbstbestrafung (Autoaggression). Man findet auch oft die masochistisch gefärbte Dulderrolle, notfalls mit Erzwingung der Symbiose durch Flucht in die Krankheit. Sie erleben quälend die trennende Kluft zwischen Ich und DU und streben im Extremfall die hermetisch abgeschlossene Symbiose an.

Die Psychoanalyse führt die Entwicklung dieser Charakterstruktur auf unbefriedigende oder fehlende Liebe und Akzeptanz in der Kindheit zurück.

Die positiven Seiten dieser Lebenseinstellung zeigen sich in der gefühlvollen Beziehungs– und Liebesfähigkeit mit viel Nähe. „Mütterlich“ sorgend, aufopferungsbereit, dienend, sich verschwendend gibt dieser Mensch sich in die Beziehung ein, allerdings mit der Forderung gleiches zurückzubekommen. Er ist überschwenglich, aufopferungsbereit, ausgleichend und kann Gefühle und vor allem Zuneigung gut äußern. Beruflich ist er oft in „helfenden Bereichen“ tätig.

Er erkauft die Lebens– und Seinsberechtigung durch Verzicht auf Entwicklung eines souveränen lebensberechtigten Ichs.

Die distanzierte Persönlichkeitsstruktur

Menschen, die hinsichtlich ihres Beziehungsverhaltens eher hier einzuordnen sind haben häufig Angst vor Hingabe und Verschmelzung. Sie befürchten Ich–Verlust und Abhängigkeit.

Sie betonen ihre Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Es bestehen Bindungsängste und ein starker Wunsch nach Kontrolle, Gefühle zu zeigen wird eher vermieden. Rationelle Sachlich–keit, kühle Distanziertheit sind hohe Werte. Der distanzierte Mensch möchte sich aus Angst vor Verletzung unverletzlich machen und schottet sich emotional eher ab. Er neigt zu Ironie und Sarkasmus. Aggressivität nach außen fällt ihm eher leichter als die Äußerung von Zuneigung. Hinter seinen emotionalen Mauern schwappt jedoch oft ein Meer von Gefühlen.

Er kann in seinem Inneren nicht glauben, daß er um seiner selbst willen liebenswert ist.

Die Psychoanalyse führt die Entwicklung dieser Charakterstruktur auf Kindheitserfahrungen zurück, in denen sich der Mensch oft als ungeliebt und unerwünscht erlebt hat.

Die positiven Seiten dieser Lebenseinstellung zeigen sich in der Zuverlässigkeit, der Genauigkeit, der Selbstständigkeit, der Unabhängigkeit, der kritisch unbestechlichen Sachlichkeit, der kompromißlosen Klarheit. Dieser Mensch imponierte durch persönliche Leistung und Kompetenz.

Er erkämpft sich die Lebensbewältigung zu Lasten der Entwicklung eines hingebenden und verletzlichen Ichs.

Die instinktive Anziehungskraft der Gegensätze

Nicht pflegt uns stärker anzuziehen, zu faszinieren, als wenn ein anderer das lebt, was wir selbst auch als Möglichkeit in uns ahnen, aber vielleicht unterdrücken oder nicht zu leben gelernt haben. Die Ahnung der Chance zur Erlösung aus der eigenen Begrenztheit, die Möglichkeit, am Partner etwas nachzuholen, was man selbst nie erleben durfte, ist häufig ein wesentlicher Teil der geschlechtlichen Faszination. In ihr wirkt der unbewußten Wunsch, durch den jeweiligen „Gegentyp“ zur Ganzheit zu kommen.

Da es sich jedoch um komplementäre Verhaltensweisen handelt, in der der jeweilig andere das Gegenmodell lebt, besteht eine hohe Gefahr durch Projektionen, Recht haben wollen, siegen wollen, sich weiter in die eigene Einschränkung zu manövrieren anstatt eine flexible Form der Begegnung und Abgrenzung im Sinne einer ausbalancierten Identitätsentwicklung durch das verstehende und ergänzende Miteinander zu leben.